Pfungstädter Hilfstransport an die polnisch-ukrainische Grenze – ein Reisebericht
Ein Konvoi fährt in Richtung Osten
"Nachdem wir in der ersten Märzwoche unser Aktionsbündnis „Pfungstadt hilft der Ukraine!“ gestartet haben wurde schnell deutlich, dass die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Pfungstädter Bevölkerung enorm ist. Im Alten E-Werk wurden die Spenden gesammelt, verpackt, beschriftet und zwischenzeitlich an die polnisch-ukrainische Grenze transportiert, um dort die Betroffenen mit dem Wichtigsten zu versorgen. Zahlreiche helfende Hände haben die Fahrzeuge vorschriftsmäßig beladen und die angeforderten und dringend benötigten Hilfsgüter verpackt.
Schnell wurde klar, dass die beiden Lkw der Pfungstädter Brauerei und das Fahrzeug der Firma Koke GmbH nicht ausreichen würde, um alle vorhandenen Hilfsgüter transportieren zu können. Daher haben wir noch weitere Fahrzeuge und Fahrer besorgt – am späten Montagnachmittag war alles beladen und zur Abfahrt bereit.
Dienstag, 8. März 2022
Um 08:00 Uhr trafen die Mitfahrenden auf dem Gelände des städtischen Betriebshofes Stadt ein. Mit Dirk Koke, Ulrike Plapp, André Schumann und Janos Klieber stellte das Pfungstädter Unternehmen den größten Teil der Helfergruppe. Seitens der Feuerwehr und des THW begleiteten Thomas Hary, Dennis Schäfer und Holger Uhl den Transport und von der Stadt Pfungstadt konnten Personalratsvorsitzender Torsten Scheiber-Stein und Stadtwerkeleiter Thomas Fischer als Begleitung gewonnen werden. Kurzfristig erklärten sich Franz Echle aus Westhofen und der Stadtverordnete Delton Galbreth am Montag dazu bereit, gemeinsam mit mir diese Hilfskonvoi zu begleiten. Zusammen fuhren wir in sechs Fahrzeugen in Richtung Osten. Nach mehreren Pausen erreichten wird rund 12 Stunden später das 800 km entfernte Breslau, wo wir in einem Hotel am Stadtrand übernachteten.
Mittwoch, 9. März 2022
Nach dem Frühstück wurde die Reise fortgesetzt. Weitere rund 500 km lagen vor uns – die letzten 130 km davon auf Landstraßen. Je weiter wir Richtung Osten kamen, desto kälter und verschneiter wurden die Witterungsverhältnisse. Gegen 17:00 Uhr kam der Konvoi wie geplant in Ustrzyki Dolne, einer Partnerstadt der Pfungstädter Partnerstadt Hevíz, an. Wir wurden von Magdalena, die das Organisationskomitee vertrat, empfangen und fuhren sofort zu einer Lagerhalle. Dort erwartete uns Tomek, der gut deutsch sprach und die Halle zur Verfügung stellte. Normalerweise importiert er Holz aus der Ukraine und verkauft dieses weiter – seit zwei Wochen ist sein Geschäftsmodell nicht mehr möglich und er beteiligt sich gemeinsam mit unzähligen anderen an der Hilfe für die Kriegsflüchtlinge.
Die nächsten dreieinhalb Stunden wurden die 4 Lkw, der Transporter und der Anhänger teilweise im Schneetreiben entladen und alle Hilfsgüter sicher in Tomeks Lagerhalle untergebracht. Alle packten mit an. Zwischenzeitlich kamen Bürgermeister Bartosz Romowicz und sein Stellvertreter Michal Wnuk vorbei, um uns zu begrüßen. Palettenweise wurden Nahrungsmittel, Getränke, Schlafsäcke, Zelte, Hygieneartikel, Heizgeräte, Ladekabel, Mehrfachstecker und vieles mehr abgeladen und ins Lager verbracht, denn von hieraus war die Weiterverteilung durch polnische Freiwillige für den kommenden Tag geplant.
Erst spät am Abend konnten wir der Einladung der Gemeinde folgen und unser Abendessen in einer alten Mühle zu uns nehmen, ehe die – ebenfalls von den Gastgebern zur Verfügung gestellte – Unterkunft bezogen wurde.
Donnerstag 10. März 2022
Dies war sicherlich der Tag unserer weiten Reise, der besonders in Erinnerung bleiben wird. Nach dem Frühstück trafen wir uns mit dem Bürgermeister und seinem Stellvertreter. Man wollte uns zeigen, wie man mit den Hilfsgütern umgeht und wie die Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge organisiert wurde. Gemeinsam fuhren wir zu einem sog. „Reception Point“, eine Art Erstanlaufstelle für die Menschen, die aus dem Kriegsgebiet nach Polen kommen. Die Gemeinde hat eine ehemalige Schule zu einer solchen Erstanlaufstelle mit 150 Betten umfunktioniert. Dort werden die Menschen, die nicht selten zu Fuß und lediglich mit einem Koffer über die Grenze kommen, versorgt, können eine Nacht verweilen, sich aufwärmen und sich auf die Weiterreise vorbereiten. Mehr als 6 000 Menschen wurden in dieser Station schon ehrenamtlich und unentgeltlich aufgenommen versorgt. Die polnische Regierung und Hilfsorganisationen stellen in der Folge Möglichkeiten für eine Weiterfahrt in andere Landesteile zur Verfügung.
Alles wirkte sehr geordnet und bestens organisiert. Feuerwehr, Polizei, Freiwillige und das polnische Militär arbeiten augenscheinlich sehr gut Hand in Hand. Kurz darauf waren wir an der naheliegenden Grenze. Es ist einer der kleineren von insgesamt acht Grenzübergängen zwischen der Ukraine und Polen. Derzeit kommen dort täglich ca. 2 500 Menschen mit ihren Fahrzeugen über die Grenze, meist reisen sie in den Pkw direkt weiter. Diejenigen, die zu den im Schnitt rund 150 Menschen pro Stunde gehören (tags mehr, nachts weniger) die die Grenze zu Fuß passieren, haben zuvor oft stundenlang in der Kälte warten und ausharren müssen.
Für sie steht unmittelbar hinter der Grenze auf polnischer Seite eine von der Gemeinde eingerichtete Sammelstation bereit. Dort können die Menschen sich aufwärmen, werden von Freiwilligen mit Essen, Getränken und medizinischer Hilfe versorgt. Die polnischen Netzbetreiber geben kostenfreie SIM-Karten aus. Auch können sich diejenigen, die dort ankommen (meist Frauen und Kinder und vermehrt auch ältere Menschen, aus den umkämpften Gebieten ) mit gespendeten Lebensmitteln, Decken und Hygieneartikeln versorgen, ehe sie entweder zu einem der bereits angesprochenen „Reception Points“ gebracht oder mit bereitstehenden Fahrzeugen weiter ins Landesinnere gefahren werden.
Am Nachmittag wurde uns dann das große Magazin in der Sporthalle der Gemeinde gezeigt. Dort werden die Sachspenden sortiert, neu verpackt und für den Transport zur Grenze, zu einer Erstanlaufstation oder aber zum Transport in die Ukraine, vorbereitet. Die Gemeinde steht in Kontakt mit Kommunen auf der andren Seite der Grenze, ist bestens über die Lage dort informiert und kann sozusagen als eine Art „Brückenkopf“ für die Hilfe fungieren. Einige von uns haben spontan am Nachmittag mitgeholfen und Waren sortiert. Dabei sind sie auch auf von uns am Tag zuvor abgeladene Kartons gestoßen. Wir waren überrascht, wie schnell hier alles geht und wie dringend unsere Ladung gebraucht wurde.
Ich selbst besuchte mit dem Bürgermeister und seinem Stellvertreter lokale Energielieferanten. Dort habe ich für einen Teil der Geldspenden Gutscheine für Diesel und Gas gekauft, welche die Gemeinde dann bedarfsgerecht dort beziehen kann. Heizgeräte oder Stromerzeuger – alles verbraucht Energie, die aus entsprechenden Brennstoffen gewonnen werden muss. Von den Verantwortlichen vor Ort soll ich Ihnen allen ausrichten, dass diese finanzielle Unterstützung eine große Hilfe ist und man den Pfungstädterinnen und Pfungstädtern von Herzen dankt.
Nach dem Abendessen haben wir mit den Verantwortlichen einen neuerlichen Besuch an der Grenze absolviert. Dort haben wir die Heizpilze aus Pfungstadt bereits in Funktion gesehen. Geflüchtete und Helfende konnten sich dort bei herrschenden -15° C etwas aufwärmen. Es wurde sichtbar: Unsere Hilfe kommt an. Unmittelbar, direkt, unkompliziert.
Auch haben wir eine weitere Auffangstation an diesem Abend besucht. Ehrenamtliche, teils mit drei Stunden Anfahrtsweg, kümmern sich dort um die Verpflegung und die Betreuung. Viele Menschen aus der Ukraine, Mütter mit ihren Kindern, teils auch Jugendliche, haben dort ihre erste Nacht in Sicherheit verbracht. Man spürt die Angst und die Verunsicherung bei diesen Menschen. Aber auch die Dankbarkeit für die Hilfe, die die polnische Bevölkerung ihnen zuteilwerden lässt. Uns alle hat dieser Tag sehr bewegt und verdeutlicht: Unsere Hilfe ist dringend notwendig und die Reisestrapazen haben sich gelohnt.
Freitag, 11. März 2022
Am frühen Vormittag wurden wir von den Verantwortlichen vor Ort verabschiedet, bestiegen unsere Fahrzeuge und fuhren in Richtung Pfungstadt. Auch hier war eine Übernachtung zum Krafttanken erforderlich.
Samstag, 12. März 2022
Der letzte Tag des Hilfstransportes begann mit Kälte, aber auch strahlendem Sonnenschein. Die 800 Kilometer nach Pfungstadt wurden staufrei bewältigt. Mit Lkw und Anhänger brauchte dies dennoch einige Zeit. Insgesamt haben wir für die fast 2.700 km lange Reise hin und zurück rund 40 Stunden benötigt.
Am Abend sind alle wieder wohlbehalten in Pfungstadt angekommen. Wir waren uns einig, dass wir in den kommenden Wochen erneut einen Transport organisieren sollten. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Pfungstadt die hierfür benötigten Mittel aufbringen können und werden. Vielen Dank allen, die dieses Zeichen europäischer und menschlicher Solidarität ermöglicht und mitgetragen haben, allen voran den Fahrerinnen und Fahrern des Transportes. Wir stehen zusammen an der Seite der vom Krieg vertriebenen Menschen, sei es mit Unterstützung an der Grenze oder später auch vor Ort, wenn Geflüchtete bei uns ankommen.
Pfungstadt lässt diese Menschen nicht alleine – das haben wir eindrucksvoll bewiesen und darauf können wir alle stolz sein."
Ihr Bürgermeister
Patrick Koch